Artikel aus der Oberbergischen Volkszeitung vom 12.06.2014

Oberbergische Volkszeitung vom 12. Juni 2014:

Smartphone ersetzt die Augen

Die Zahl der stark Sehbehinderten nimmt zu – Blindenverein bietet Hilfe

 

Von REINER THIES

GUMMERSBACH. Wenn Bodo Isenhardt morgens vorm Kleiderschrank steht, sucht er sich seine Garderobe mit den Ohren aus. Jedes Teil ist mit einem Etikett versehen, das er mit einem Scanner abliest. Dieser spielt ihm eine selbst aufgenommene Beschreibung vor. „Ich höre dann zum Beispiel: Dies ist die graue Hose mit lila Punkten“, sagt Isenhardt und lacht.

Wenn es zu solch einem geschmacklichen Fehlgriff käme, wäre er also Absicht. Sogar das passende T-Shirt sucht sich Isenhardt mit einem Farberkennungsprogramm selbst aus. Der zweite Vorsitzende des Oberbergischen Blinden- und Sehbehindertenvereins ist begeistert von den Möglichkeiten der digitalen Technik.

Das Smartphone ersetzt ihm die Augen. Vor zwölf Jahren begann Isenhardt krankheitsbedingt sein Augenlicht zu verlieren und ist heute vollständig blind.

Zusammen mit den Vorstandskollegen hat Isenhardt kürzlich an einem Stand im Gummersbacher Einkaufszentrum Bergischer Hof über die Vereinsarbeit informiert. Das ist auch ein Signal an die Betroffenen, sagt Isenhardt: „Es ist wichtig, dass der blinde Mensch sich zu erkennen gibt, sonst kann man keine Rücksichtnahme einfordern.“

Mitglied beim Blindenverein werden kann, wem nicht mehr als 30 Prozent seiner Sehleistung geblieben sind. Dieses Kriterium erfüllen infolge des demografischen Wandels immer mehr Oberberger. Mit der Zahl der hochbetagten Menschen wächst die Menge der stark Sehbehinderten.Die größte Hilfe für einen blinden Menschen ist nicht computergesteuert: der Blindenhund. Vereinsvorsitzender Jürgen Aha trainiert gerade mit seinem Labrador für die vorgeschriebene Abschlussprüfung. Einmal sei er wegen des Spezialgeschirrs gefragt worden, ob der Hund besonders rebellisch sei. Auch ohne Hund musste sich Aha schon über die Ignoranz mancher Leute wundern, etwa, als man ihn wegen des Blindenabzeichens für einen Atomkraftgegner gehalten hat. Die Vereinsvertreter betonen, dass Blinde nicht zum Nichtstun verdammt seien. Jens Kalkuhl, Schriftführer des Vereins, mit 46 Jahren jüngstes Vorstandsmitglied und seit einer Gehirnoperation vor 40 Jahren fast ohne Sehkraft, arbeitet am Informationsschalter des Gummersbacher Rathauses. Dort hilft ihm die moderne IT-Technik dabei, Anrufe entgegenzunehmen, E-Mails zu verarbeiten und Besuchern weiterzuhelfen. „Ich komme gut zurecht“, sagt der Gummersbacher. „Oft haben die Leute gar nicht bemerkt, dass ich fast blind bin.“

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