Bericht in der OVZ vom 29.09.2018

„Man muss den anderen nichts erklären“

Oberbergs Blinden- und Sehbehindertenverein wird 90 – Gemeinschaft der Leidensgenossen

Seit 90 Jahren gibt es den Oberbergischen Blinden- und Sehbehindertenverein.

Bei seiner Gründung hieß er noch „Blindenverein“, längst versteht er sich als Selbsthilfegruppe. Damals galt es vor allem, die zahlreichen „Kriegsblinden“ des 1. Weltkrieges zu unterstützen. Heute tragen rund 40 Oberberger den Verein. Und der Verein trägt
sie.

Völlig blind sind zwei Drittel der Mitglieder. Die anderen haben (noch) einen kleinen Sehrest. Die Zahl der Sehbehinderten nimmt rapide zu, entsprechend der Alterung der Gesellschaft. Und so ist die Gruppe der Menschen ab 65 im Verein am stärksten vertreten.

Was hält diesen Verein über 90 Jahre zusammen?

Die 1. und 2. Vorsitzenden Hans–Jürgen Aha und Bodo Isenhardt erklären einmütig, es sei die „Gemeinschaft der Leidensgenossen“. „Man muss den anderen nichts erklären, sondern wird sofort verstanden“, sagt Isenhardt. „Deshalb kann man bei uns ganz entspannt sein, wie in jedem anderen Verein.“ Geselligkeit wird daher gepflegt – wobei das Zusammenkommen für Blinde schwierig ist. „Ein kleiner Bus, der die Mitglieder abholt und zurückfährt – das wäre toll.“

Ein regelmäßiger Stammtisch wäre dann möglich. Hauptaufgabe des Vereins ist aber die Beratung von Betroffenen. Sie können bei Isenhardt
anrufen und ihre Sorgen schildern: „Manchmal sind es ganz simple Dinge: Wie finde ich nach dem Waschen die Socken, die zusammen passen?“ Für solche Fragen vermittelt der Verein Trainer, die ins Haus kommen und Lebenspraxis üben. „Wie schneide ich im Restaurant das Schnitzel, wenn alles voller Soße ist?“

Für juristische Fragen steht jedem Mitglied eine kostenlose Rechtsberatung zur Verfügung. Die hilft auch, wenn der Antrag auf einen Blindenführhund abgelehnt wurde. Bei Aha hat es ein Jahr gedauert, ehe der Labrador Cooper zu ihm durfte.

Isenhardts Führhund ist die Pudeldame Ronja – auch sie unverzichtbar. „Im ganzen Verein gibt es nur drei Führhunde. Die Bedingungen ihrer Haltung werden vom Medizinischen Dienst genau geprüft – oft ein langwieriger Prozess. Und ohne Zuzahlung geht es auch nicht immer ab.“

Der Verein kennt sich mit Hilfsmitteln für Sehbehinderte aus und kann Tipps geben: Ein sprechender Messbecher hilft beim Kochen. Wenn die Spaghetti gar sind, erklingt Musik von Verdi. Die „Libelle“, ein Füllstandsanzeiger, meldet, dass die Kaffeetasse voll ist.

Geburtstagswünsche zum 90? Da müssen beide überlegen. „Barrierefreiheit bleibt ein Thema“, sagt Aha, „wenn ich Cooper nicht hätte, könnte ich nur schwer Bus fahren.“ Der Befehl heißt: „Such Bank!“ – und schon findet Cooper einen Platz. Arztpraxen und Geschäfte
verwehren dem Führhund den Zugang und machen den Blinden das Leben schwer. Ganz abgesehen von verbreitetem Unverstand. Jemand
sprach Aha auf sein Blindenabzeichen mit den drei Punkten an: „Sind Sie BVB-Fan?“ „Zum Jubiläum gönnen wir uns jetzt Corinna May“, sagt
Isenhardt. Die bekannte blinde Sängerin und Grand-Prix-Teilnehmerin unterbricht für das Fest ihre laufende Tournee und wird heute gegen 14 Uhr zu einem Auftritt während der Jubiläumsfeier des Vereins im Hotel Bodden in Rebbelroth erwartet.

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